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zurückgeschickt, weil er ein Illegaler war, und jedes Mal hatte
er es erneut versucht, hatte das Meer überquert und war durch
unbekannte Städte und Landschaften gewandert. Das erste Mal
war er über sechs Monate in Talien gewesen und hatte sogar
gearbeitet.
»Und wie war die Arbeit?«
»Mauvais.« Schlecht.
Er hatte Tomaten geerntet.
Ich sagte ihm, dass ich das gar nicht so schlecht fand, nicht
schlechter, als im Dunkeln aufs Meer hinauszufahren.
»Schlecht«, wiederholte er. »Du musst von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang arbeiten, in der prallen Sommersonne.
Drei Schlucke Wasser am Tag waren erlaubt, schlimmer als
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Tiere haben sie uns behandelt. Wir mussten die Tomaten in
Kisten legen, und für jede Kiste haben wir nur ein paar Cent
bekommen. Der Aufseher lief mit einem alten Strohhut auf
dem Kopf herum und sagte: : Arbeite, Neger, sonst schicken wir
dich zurück. Travaille, travaille.9 Wir haben in einem alten
Stall geschlafen, und um unser Essen mussten wir uns selbst
kümmern. Wir hatten immer Hunger, der Rücken und die
Schultern taten weh und irgendwann konnten wir uns nicht
mehr bücken, um die Kisten aufzuheben. Sie waren sehr
schwer, die Sonne brannte, es war fast noch heißer als in mein-
er Heimat. Travaille. Ich habe gearbeitet, aber sie haben mich
trotzdem zurückgeschickt.«
»Und warum kommst du immer wieder zurück?«, fragte ich.
Er breitete die Arme aus, schüttelte langsam den Kopf und
ging. Er wusste es selbst nicht.
Ich hörte auch andere Geschichten von schlechter Arbeit.
Ehrlich gesagt, waren fast alle Geschichten so.
Sie erzählten von Baustellen und von Menschen, die dort zu
Tode kamen, weil sie vom Gerüst stürzten. Das war auch in
meinem Dorf schon passiert, ein Mann, dessen Namen ich
nicht weiß, hatte sich beim Sturz beide Beine gebrochen und
saß jetzt bewegungsunfähig auf der Terrasse seines Hauses und
war dem Mitleid seiner Kinder ausgeliefert.
Aber das war etwas anderes, auch wenn ich nicht erklären
könnte, warum.
Sie sprachen von viel Arbeit für wenig Geld.
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Jeder hatte seine Fabrik und seine chemischen Substanzen,
jeder auf seine Weise, auch wenn sie den Dingen andere Na-
men gaben. Jedenfalls kam mir das so vor.
Nach einigen Tagen hatte man den Eindruck, es gäbe in
Wirklichkeit nur eine einzige Geschichte, und jeder würde das,
was er gehört hatte, auf seine Weise weitererzählen, indem er
einige Details hinzufügte und die Geschichte in einem anderen
Land stattfinden ließ, mit anderen Farben und anderen
Gerüchen.
Aber die Geschichte blieb die gleiche.
Irgendwann hörte ich nicht mehr zu.
Ich wollte ihre Geschichten nicht mehr hören und ich wollte
meine nicht erzählen.
Vielleicht hätte es mir gutgetan, meine Seele zu befreien, ein-
fach alles herauszulassen, jemandem von diesem Tag und
dieser Nacht zu erzählen, vom Sturm, von der Dunkelheit, dem
gesunkenen Schiff, den Toten und von allem. Aber ich konnte
nicht und ich wollte nicht. Keine Ahnung, warum.
Ich konnte nicht.
Vielleicht weil ich am Leben geblieben war. Das war mein
Geheimnis. Vielleicht würde das Schicksal mir eines Tages eine
Frau an die Seite geben, mit der ich darüber sprechen konnte.
Sofern ich es zulassen würde, eine Zukunft zu haben.
Damals konnte ich es mir nicht vorstellen.
Den Jüngeren fiel es leichter als den Älteren, aufeinander
zuzugehen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Ich ver-
suchte manchmal, mit ihnen in Kontakt zu kommen, aber ob-
wohl ich ihr Interesse weckte, blieben sie misstrauisch. Die
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weißen Haare und die faltige Haut machten mich älter,
niemand nahm mir ab, dass ich erst fünfzehn war.
Eine Reihe von Jugendlichen machte seltsame Geschäfte,
keine Ahnung, wie sie es anstellten, aber mir fiel auf, wie in
Packpapier eingewickelte Bierflaschen oder in Alufolie gewick-
elte Päckchen verstohlen von Hand zu Hand wanderten.
Sie machten mich auf einen finster dreinblickenden Mann
aufmerksam, ein offensichtlich gefährlicher Bursche mit pock-
ennarbiger Haut, der sich aufspielte, als wäre er der Chef auf
dem Hof.
Alle hatten großen Respekt vor ihm, aber es hieß, er sei einer
von denen, die die Leute übers Meer bringen, ein Hai also. Man
hatte ihn zusammen mit den anderen aus dem Wasser gezo-
gen, und jetzt tat er so, als sei er einer der Flüchtlinge, um
nicht ins Gefängnis zu kommen.
»Und niemand verpfeift ihn?«, fragte ich.
Sie tippten sich an die Stirn: »Bist du verrückt? Halt bloß
den Mund.«
Irgendwie hatte der Hai einen Haufen Geld retten können,
hieß es zumindest, er ging jeden Abend aus, als wäre er ein
freier Mann, und ließ es sich gut gehen. Wenn man Alkohol
oder irgendetwas anderes wollte oder wenn man vorhatte, das
Lager für immer zu verlassen, dann musste man sich nur an
ihn wenden.
»Warum? Geht das denn?«, fragte ich.
»Alles geht«, antworteten sie mit vielsagendem Blick. »Mit
Geld geht alles.«
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Im Lager waren auch Frauen und Kinder, aber sie waren
getrennt von den Männern in einem anderen Gebäude unterge-
bracht. Die Familien sahen sich selten. Spätnachmittags über-
querten die verheirateten Männer den Hof und fragten die Auf-
seherin, ob sie mit ihren Frauen sprechen, ihre Kinder
streicheln und später gemeinsam essen könnten.
Doch niemand war hier zu Hause.
Wir langweilten uns, wussten nichts mit uns anzufangen und
wurden immer nervöser und reizbarer. Fast jeden Tag gab es
eine Schlägerei.
Die Schlafsäle wurden zwar geputzt, aber sie wirkten
trotzdem immer dreckig, die Latrinen stanken, das Essen
schmeckte fade, nach nichts.
Auch nachts gab es keine Ruhe, es war ein ständiges Kom-
men und Gehen, immer wieder Türenschlagen. Männer
tuschelten miteinander, es gab sogar einige, die die ganze
Nacht im Schlafsaal auf und ab gingen und nie zu schlafen
schienen. Wer weiß, woran sie dachten.
Von draußen hörte man das Knattern der Mofas der Jugend-
lichen aus dem Dorf. Das Licht der aufgeblendeten Scheinwer- [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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