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Schifahrern in voller Ausrüstung, schwebten wir in eine glitzernde Märchen-
landschaft, hinauf über schneebedeckte Baumwipfel, immer weiter, hinaus
über die Baumgrenze bis zur fast 2000 Meter hoch gelegenen Bergstation. Von
dort reichte die Sicht in der fahlen Wintersonne bis zum Semmering und zum
Sonnwendstein.
Wir tranken in der rustikalen Gaststube der Berghütte einen wärmenden
Glühwein und gingen dann eine kurze Strecke in Richtung Ottohaus, auf einem
von meterhohen Schneewächten gesäumten Weg. An manchen Stellen hatte
der Schneepflug Schneisen hinterlassen, man erahnte den tiefen Abgrund. Von
Neugier getrieben, tastete sich meine Freundin an den gefährlichen Schlund,
um hinabzusehen und die Aussicht zu bewundern. Kurz, ganz kurz geriet ich in
Versuchung. Soll ich es wagen? Kann ich es? Ist jemand in der Nähe? Werden
wir beobachtet? Ein kleiner, aber heftiger Stoß, und ich wäre mich von allen
realen oder irrealen Sorgen befreit gewesen.
Im letzten Augenblick riss ich mich zurück. Lass das, es ist deiner nicht wür-
dig! Nein, nicht so plump!, dachte ich bei mir, als sich Mizzi weit vorbeugte.
»Pass auf, Mizzilein! Was fällt dir ein? Zurück, zurück!«, schrie ich aufgeregt
und hielt sie am Ärmel ihres Anoraks fest. Drei Unglücksfälle genügten mir, ein
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vierter hätte das Maß der Glaubwürdigkeit beträchtlich überschritten. »Danke,
aber es wär mir schon nichts passiert«, sagte meine Freundin, die Gefahr, in
der sie sich befunden hatte, stark unterschätzend. »Aber du weißt doch, dass es
jedes Jahr auf der Rax mehrere Unfälle mit tödlichem Ausgang gibt«, erklärte
ich ihr eindringlich.
Bald darauf kehrten wir ausgefroren, aber einträchtig nach Wien zurück.
Zum Abschied steckte ich ihr einen Umschlag mit einem kleinen Geldbetrag zu
und küsste sie was ich sonst nie tat auf beide Wangen.
Die Zuversicht jener Tage erfuhr durch Murlis Krankheit eine Wende zum Sch-
lechten. Als ich vom Ausflug auf die Rax zurückkehrte, sah ich die Mahlzeit des
Katers, der im Allgemeinen mehr, als ihm guttat, zu sich nahm, unberührt im
Vorzimmer stehen. Er aß auch weiterhin nichts, wirkte apathisch und verkroch
sich schließlich in eine Schublade meines Schreibtischs. Selbst seine
Lieblingsspeise, norwegischen Lachs, verschmähte er. Nachdem ich dies eine
Weile lang sorgenvoll beobachtet hatte, trug ich den Gefährten, mit dem ich,
wie dies übrigens auch Hemingway getan hatte, Tisch und Bett teilte, am näch-
sten Tag sofort zu jenem Tierarzt, der ihn schon seit Langem liebevoll betreute.
Jedes Jahr schrieb Dr. S. eine lustige Karte, mit der er Murli zu einer Kontrol-
luntersuchung samt Impfung einlud.
Dr. S. empfing seinen Privatpatienten freundlich. Nach kurzer Unter-
suchung schüttelte er bedenklich den Kopf und teilte mir die Diagnose mit:
»Leukose, Katzenseuche, unheilbar.« »Wie ist das möglich? Sie haben ihn
doch immer geimpft? Ihm sogar einen Katzenpass ausgestellt.« »Dagegen
leider nicht. Mir schien, dass Ihnen die Kosten dieser Impfung zu teuer sein
würden«, erklärte mir der infame Arzt, während ich in Tränen ausbrach.
»Was für eine idiotische Ausrede, um das eigene Versäumnis zu kaschier-
en!« Ich wankte mit Murli, der still in seinem Körbchen lag, erschüttert aus der
Ordination. »Diese Gemeinheit. Wie kann er mir unterstellen, dass ich bei
Murli Geld sparen wollte.« Noch am selben Tag brachte ich den Kater zur Am-
bulanz der tierärztlichen Hochschule, wo man mittels Infusionen und Injek-
tionen seinen Tod gerade noch verhindern konnte. Man teilte mir allerdings
mit, dass er nicht mehr ganz gesund werden würde, und riet mir zu einem
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jungen Kätzchen. Als Gesellschaft für Murli und für alle Fälle. So kam »Carlo«
zu uns, ein hübsches, verspieltes sechs Monate altes Tierchen, ein Findling, das
mitleidige Menschen in der Tierklinik abgegeben hatten.
Von diesem Zeitpunkt verordnete ich mir, zur Aufrechthaltung meiner selbst
und um nicht zu verzweifeln, richtige Pep-Talks: »Wir sind nicht auf dieser
Welt, um stumm zu leiden. Der liebe Gott hat uns mit Verstand und Tatkraft
zur Lösung unserer Probleme ausgestattet«, sagte ich zu mir. Hatte ich mir das
nicht schon mehrfach bewiesen?
Am 1. Jänner des neuen Jahres leistete ich mir einen von langer Hand ge-
planten unerhörten Luxus das berühmte Neujahrskonzert der Wiener Phil-
harmoniker, den gesellschaftlichen und musikalischen Höhepunkt der be-
ginnenden Saison im Wiener Musikverein. 300 000 Menschen aus aller Her-
ren Länder bewarben sich jedes Jahr um 1300, teils sogar durch das Los
vergebene, Plätze im »güldenen« Saal, der traditionellen Heimstatt der Phil-
harmoniker. Mir selbst war es erst nach vielen gescheiterten Versuchen gelun-
gen, eine der heiß begehrten Karten zu einem sagenhaften Preis auf dem Sch-
warzmarkt zu bekommen.
Mindestens 100 Millionen Zuschauer verfolgen jedes Mal das von einem
Stardirigenten geleitete und von Fernsehstationen in die ganze Welt übertra-
gene Konzert. Ich saß in der vordersten Reihe einer Loge im ersten Stock, das
wunderbare Ereignis überwältigte mich. Der Klang sich einstimmender Instru-
mente erfüllte den Raum. Welche Atmosphäre, welche Roben, welch festlicher
Rahmen. Welche Prominenz! Berühmte Schauspieler, altbekannte Politiker,
namhafte Künstler. Ältliche Industriekapitäne zeigten sich ebenso an der Seite
schöner, junger Damen, genau wie derbgesichtige, breitschultrige Männer, in
denen ich musikalische Drogenbosse vermutete. Zarte Japanerinnen trippelten
in traditionellen, kostbaren Festtagskimonos herbei.
Ich war natürlich auch sehr elegant gekleidet, aber leider ohne Begleitung.
Könnten doch Flo und Dr. Wegner ich vermutete beide in der Hölle herau-
flugen und mich in meinem Glanz sehen oder Poldi mich vom Fegefeuer aus
beobachten. Der Gedanke ließ mich schmunzeln. Dann hob der mit Ovationen
empfangene Dirigent seinen Taktstock, es wurde ganz still. Wahrlich
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überirdische Klänge entführten mich in eine Sphäre der Seligkeit, ja der Wol-
lust. Altbekannte Melodien, dargeboten vom wahrscheinlich besten Orchester
der Welt, erzeugten in meinem Inneren eine unbeschreibliche Wonne. Ich
schwebte im siebenten Himmel. Der »Pizzicato-Polka« von Joseph und Johann
Strauss folgte die heitere »Tritsch-Tratsch-Polka«, das »Plappermäulchen«
und der »Künstlergruß«. Die »Champagner-Polka« ließ die Herzen des Audit-
oriums höher schlagen, und der »Champagner-Galopp« bewog selbst ältere
Herrschaften, sich verstohlen im Takt zu wiegen. Dem Walzer »An der schönen
blauen Donau« folgte lang anhaltender Jubel. Die Wiener Philharmoniker,
jeder von ihnen ein Star, erhoben sich feierlich gemessen von ihren Plätzen
und wünschten samt ihrem Dirigenten »Ein Prosit Neujahr«. Der von einem
internationalen Publikum mit enthusiastischem Mitklatschen begleitete Radet-
zkymarsch beendete das Programm.
Als veränderter Mensch, aufgeputscht und in dem Bewusstsein, eine
wichtige Mission im Dienste der Gerechtigkeit erfüllen zu müssen, verließ ich
hocherhobenen Hauptes den Konzertsaal. Was für ein Glück, in dieser herr-
lichen Stadt leben und zudem nachhaltig wirken zu dürfen. Warm in meinen
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