[ Pobierz całość w formacie PDF ]
schwerlich einzusehen, warum das heute nicht mehr so sein sollte. Sicher
war der Wert einer Religion früher offensichtlicher, da die Menschen ohne
die modernen Errungenschaften mehr zu leiden hatten. Doch nachdem wir
heute immer noch leiden auch wenn das Leid heute eher innerlich als
geistige und emotionale Heimsuchung erlebt wird und weil eine Religion
neben ihrem Erlösungsanspruch das Anliegen hat, uns bei der
Überwindung von Leid zu helfen, muß sie immer noch sinnvoll sein.
Wie sollen wir nun aber die Harmonie herstellen, die notwendig ist, um
Konflikte zwischen den einzelnen Religionen zu überwinden? Wie beim
Seite 253
Fall einzelner Menschen, die daran arbeiten, ihre Reaktionen auf negative
Gedanken und Gefühle zu bewältigen und geistige Werte zu kultivieren,
besteht die Lösung darin, Verständnis zu entwickeln. Zunächst müssen wir
dabei die Hemmfaktoren erkennen und dann Mittel und Wege finden, sie
auszuschalten.
Das größte Hindernis auf dem Weg zu religionsübergreifender
Harmonie besteht vielleicht in der mangelnden Anerkennung des Werts
anderer Glaubenstraditionen. Bis vor relativ kurzer Zeit verlief die
Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen, ja sogar zwischen
einzelnen sozialen oder politischen Gemeinschaften eher schleppend oder
war gar nicht vorhanden. Daher war es nicht so wichtig, ob man andere
Glaubensformen akzeptabel fand oder nicht ausgenommen, wenn
Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen unmittelbar nebeneinander
lebten. Diese frühere Einstellung ist aber heute nicht mehr denkbar. Die
immer komplexer werdende, sich immer mehr vernetzende Welt zwingt
uns dazu, das Vorhandensein anderer Kulturen ebenso anzuerkennen wie
das anderer Volksgruppen oder, natürlich, anderer Glaubensrichtungen. Ob
es uns gefällt oder nicht: für die meisten von uns gehört diese Vielfalt zum
Alltag.
Ich glaube, der beste Weg zur Beseitigung von Unwissenheit und zur
Schaffung von Verständnis liegt im Gespräch mit den Angehörigen anderer
Glaubensbekenntnisse. Ich halte das auf verschiedene Arten für möglich.
Sehr wertvoll sind Diskussionen unter Gelehrten, bei denen die
Seite 254
Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen
Religionen ausgelotet und gewürdigt werden. Auf einer anderen Ebene ist
es nützlich, wenn Begegnungen zwischen einfachen, aber praktizierenden
Anhängern verschiedener Glaubenstraditionen stattfinden, bei denen jeder
seine Erfahrungen einbringt. Dies ist vielleicht die wirksamste Weise, um
andere Denkweisen richtig einschätzen zu lernen. Was mich angeht, so
haben mir zum Beispiel meine Begegnungen mit dem inzwischen
verstorbenen Thomas Merton, einem Mönch des katholischen
Zisterzienserordens, wertvolle Einsichten geschenkt; sie halfen mir dabei,
tiefe Bewunderung für die christliche Lehre zu entwickeln. Ich halte es
weiterhin für äußerst gut, wenn sich religiöse Führer gelegentlich treffen,
um zusammen für ein gemeinsames Anliegen zu beten. Das Treffen in
Assisi 1986, bei dem sich Abgesandte der bedeutendsten Weltreligionen
zusammenfanden, um für den Frieden zu beten, war meiner Ansicht nach
insofern für viele Gläubige ungeheuer wertvoll, als es die Solidarität und
Friedensliebe aller Beteiligten symbolisch bekräftigte.
Und schließlich habe ich den Eindruck, daß es sehr hilfreich sein kann,
wenn Angehörige verschiedener Glaubensbekenntnisse gemeinsame
Pilgerfahrten unternehmen. Unter diesem Aspekt kam ich 1993 nach
Lourdes und anschließend nach Jerusalem, einer Stadt, die bei drei großen
Glaubensrichtungen als heilig gilt. Ich habe auch verschiedene heilige
Stätten der Hindus, der Mohammedaner, der Jainas und der Sikhs in Indien
und außerhalb Indiens besucht. In jüngerer Zeit schloß ich mich nach
Seite 255
einem Seminar, bei dem die Meditation entsprechend der christlichen sowie
der buddhistischen Tradition diskutiert und praktiziert wurde einem
historischen Pilgerzug von Anhängern beider Religionen an, der auch
Gebete, Meditationen und Gespräche unter dem Bodhi-Baum in Bodhgaya
in Indien einschloß, einer der heiligsten Stätten des Buddhismus.
Wenn ein Austausch dieser Art stattfindet, dann wird den Gläubigen der
einen Seite klar, daß die Lehren anderer Glaubensrichtungen ihren
Anhängern eine ebensolche geistige Inspiration und ethische Hilfestellung
zuteil werden lassen, wie die eigenen Lehren es für sie selbst tun.
Außerdem wird dabei deutlich, daß sich alle großen Weltreligionen, ganz
unabhängig von ihren dogmatischen und sonstigen Unterschieden, damit
befassen, den Einzelnen dabei zu helfen, gute Menschen zu werden. Alle
betonen Liebe und Mitgefühl, Geduld, Toleranz, Vergebung, Demut und so
weiter und sind in der Lage, Menschen bei der Verwirklichung dieser
Werte zu helfen. Das Beispiel, das uns die Begründer der großen
Glaubensrichtungen gaben, zeigt, daß es schließlich zum Glück führt, wenn
man diese Eigenschaften entwickelt und sich von Herzen darum bemüht,
anderen zu helfen. Diese Menschen lebten alle in großer Einfachheit, und
ethische Disziplin und Liebe zu allen anderen kennzeichneten ihren
Lebensweg. Sie lebten nicht im Luxus wie Kaiser und Könige. Stattdessen
nahmen sie freiwillig Leid auf sich, ohne dabei an die damit verbundene
Mühsal zu denken, um der Menschheit insgesamt zu dienen. In ihren
Lehren legten sie ganz besonderen Wert auf die Entwicklung von Liebe
Seite 256
und Mitgefühl und übten sich im Verzicht auf egoistische
Wunschvorstellungen. Und jeder von ihnen appellierte an uns, daß wir
Herz und Geist einem Wandel unterziehen. Ob wir nun einem Glauben
angehören oder nicht: sie alle verdienen unsere tiefe Bewunderung.
Während wir einerseits das Gespräch mit Anhängern anderer Religionen
suchen, müssen wir zugleich natürlich die Lehren der eigenen Religion in
unseren Alltag einbringen. Wenn wir erst einmal den Nutzen von Liebe,
[ Pobierz całość w formacie PDF ]